Joachim Witt ist eine Legende der Neuen Deutschen Welle. Der goldene Reiter hat ihn deutschlandweit bekannt gemacht. Ob dieser Song, wie bei vielen Musikern ähnlich, Segen oder Fluch für seinen weiteren musikalischen Weg bedeuten sollte, kann nur Joachim selbst erklären. Zumindest ist dieser Song aus den 80ern mittlerweile genauso weit von der Musik Joachim Witts entfernt, wie das Jahr 2012 von jener glorreichen Zeit der Musikgeschichte, die noch heute als besonderes Zeitalter zu Recht verehrt wird.
Dabei bietet Joachim eine interessante persönliche Musikgeschichte, die mich ein wenig faszinieren kann. Wenn man sich den Weg von Joachim anschaut, dann landet man nicht nur in der Neuen Deutschen Welle, sondern kann sich auch zielgerichtet in der alternativen Musikszene bewegen, die jeglichen übertriebenen Sinn für materielle Musik verloren haben mag. Dass dieses erfolgreich sein kann, sollten solche Ausflüge wie Bayreuth 1, Bayreuth 2 und Eisenherz, die sich in Richtung NEUER DEUTSCHER HÄRTE orientieren und ihren bekanntesten Song DIE FLUT (eine Gemeinschaftsproduktion mit Peter Heppner) hervorbringt.
Eines sollten die ewig Gestrigen einmal begreifen:
Der goldene Reiter ist solide auf seinem musikalischen Pfad unterwegs, um mit dem Mut eines Kriegers ein Königreich zu erobern, Blut und Tränen zu vergießen und um ohne Leichtsinn dem Licht im Ozean folgend schwere Beben zu überstehen. Er ist gegangen, um nie wieder zurückzukommen, trotzdem wird Joachim auch in Zukunft nie untergehen. So oder so ähnlich stellt sich mir das 2012er-Album DOM von Joachim Witt vor, was mich zu dieser kleinen Wortspielerei verleitet, indem ich die einzelnen Songs zu einem großen Ganzen verschachtelt habe und so eine vielleicht mystische Botschaft, die sich mir beim Hören des Albums eröffnen konnte, sichtbar wird. Diese sehr eigenwillige Interpretation meinerseits sollte vielleicht für viel Diskussionsstoff sorgen, zeigt aber, dass die geschmacklichen Blüten eines jeden recht eigensinnige Empfindungen hervorbringen kann.
Der goldene Reiter ist reif geworden, um genau diese Art der Musik zu leben. Tiefgang und Seelenschwere mit deutschen Texten – das kennzeichnet DOM. Witt singt von Abschied, Schmerz, Verlangen, Schuld, Selbstfindung, Aufstehen und nach vorne gehen in einer bindenden und faszinierenden Form der Wortwindung, dass es mir den Atem raubt und mich in seinen Bann zieht. DOM ist eines der Alben, die mich alles andere um mich herum vergessen lässt. Ich gebe mich dieser außergewöhnlichen Melancholie bereitwillig hin und lasse mich von einer wunderschönen und greifbaren Atmosphäre gefangen nehmen, die durch ihre Melodien zu einem spannenden Universum der dunklen Emotionen verbunden wird.
Der Einstieg in das Album gelingt spielend. Gloria öffnet das Tor zu einer unsagbaren musikalischen Welt des eigenen Unterbewusstseins, in das man die nächsten 51 Minuten sich frei bewegen darf. Dabei ist GLORIA musikalisch die erfolgreichste Nummer meines Geschmacks. Es verbindet einen mystischen Soundteppich mit einem einfachen und gängigen Drumgefüge und einer gedrückt klingenden Stimmlage. Grandios umgesetzt! Witt lässt jeden Raum, um seine eigenen Gedanken in die Songs zu interpretieren und die Songs so zu ganz eigenen Gebilde werden zu lassen. Spätestens bei JETZT GEH kann ich in diese Richtung assoziieren. Wenn man von einem Gang singt, durch den man zu den Massen gelangt, dann bin ich sehr schnell bei meiner Lieblingssportart Fußball, die dieses allwöchentlich zum Erlebnis werden lässt, auch wenn es seitens Joachim Witt nie in dieser Richtung gemeint war. TRÄNEN ist eine der Nummer des Albums, die mich durch ihren Inhalt und ihrer leicht klassische Interpretation sehr beeindrucken. Hier finde ich die Art der Wortführung sehr gekonnt. So etwas in dieser Art beschreiben zu können, zeugt von ganz großer Qualität. KÖNIGREICH steht diesem Song in nichts nach und beschreibt ein wenig (in meinen Augen) eine unpersönliche Welt der einsamen Datenkommunikation, in die wir uns flüchten, um unser ganz persönliches Empfinden nach Glück und Zufriedenheit zu finden. BEBEN und UNTERGEHEN profitieren hingegen vom Hin und Her der Stimmen von Joachim Witt und seiner Gesangspartnerinnen. Gerade die weiblichen und leicht elfenhaft klingenden Stimmen bringen einen unendlichen Schub in die Songs. LICHT IM OZEAN wird durch seinen drum orientierten Pop mit klavierlastiger und symphonischer Begleitung zu einer sehr schönen Hoffnungsnummer.
DOM ist aus meiner Sicht ein sehr ausgereiftes und gelungenes Werk. Einen viel beschrieben Vergleich zu den Songs vom Graf und Unheilig kann ich aber nicht erkennen. Alle Songs heben sich deutlich von der Musik von Unheilig ab. Sie sind vielleicht in selben musikalischen Kategorien einzuordnen, sind aber von Grund auf zu unterschiedlich, um diesem Vergleich stand zuhalten. Joachim Witt geht mit DOM sicherlich auf eine Reise mit melancholischer Tiefe, bleibt aber dem NDH und den schlagerhaften Balladen sehr weit fern und kann so ein eigenes musikalisches Königreich bauen, was mir sehr zugesagt hat…