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Das neue Ayreon Projekt auf dem Weg zum Nobelpreis?

Achtung: Text enthält unbezahlte Werbung, wegen Namensnennung!

Da ist sie also – die neue Rockoper vom Oranje Mastermind Arjen Anthony Lucassen. Hoch gelobt von der Presse steht sie seit diesen Herbsttagen im Fachhandel und hält uns nicht nur in seiner umgesetzten Geschichte eine kleine Zeitreise bereit. Aber so weit wie früher führt uns der Geschichtenerzähler der Neuzeit gar nicht zurück! Nach futuristischen Dramen und fantasy geladene Geschichten bündelt der Niederländer sein neuestes Werk aus der Ayreon Rock Opern Schmiede um ein sehr ansprechendes weltliches Thema – eine Vater/Sohn Kiste.

Das Projekt Ayreon ist mir schon vor einigen Jahren über den Weg gelaufen. „Into the electric Castle“ ist in Online Meldungen, in Fachjournalen und Musikforen gleichermaßen mit positiven Satements überschüttet worden, so dass ich mich auf dieses Experiment eingelassen habe. Bereut habe ich es nicht, mir diese Geschichte und das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Charakteren aus verschiedenen Epochen zu Gemüt geführt zu haben. Dabei ist dieses Werk mittlerweile 15 Jahre alt! Natürlich habe ich es nicht mit der Veröffentlichung erstanden. Ca 10 Jahre nenne ich dieses Album nun mein Eigen. Das hat vor allem etwas mit der fortschreitenden Entwicklung des Web zu tun, dass uns, seit seiner Möglichkeit der massen tauglichen Nutzung, neue Wege aufzeigt und uns das Leben und die Informationsgewinnung gnadenlos vereinfacht. Dieses geschickt zu nutzen bringt vor allem solchen Protagonisten, wie es nun einmal Arjen Anthony Lucassen darstellt, Vorteile sich zu positionieren und vielleicht auch ungewöhnliche Wege in Zeiten zu gehen, die für ein solches Projekt nicht unbedingt geeignet erscheint.

Musikalisch hilft es, sich mit dem Genre vorab über das Web zu befassen. Da kommen vor allem die Veröffentlichungen der professionellen Musikschreibzunft ins Spiel, die einem die nötigen Hinweise über Musikrichtung und Story geben. Als Neueinsteiger in die Ayreon Geschichte wird man sich hier aber schwer tun! Man braucht eine gehörige Portion Zeit, um sich in die Musik und die Geschichte einzuarbeiten. Wer an solchen Dingen schon früher Spaß gefunden hat, der wird hier sein Eldorado des Glücks finden. Schon allein dadurch lehnt sich die Story an allgemein übliche Gepflogenheiten einer echten Oper an. Scheinbar liegt bei „The Theory of Everything“ ein wenig mehr als nur eine typische Rockoper in der Luft!

Das Zauberwort in der Musik heißt „Prog Rock“ und wird von Arjen Anthony Lucassen ausgiebig verwendet, um der Geschichte einen wohlklingenden Mantel des Genuss umzulegen. Elemente wie Hamond Orgel, Syntheizer, Flöte, Geigen, Cello, Chöre kann man im Laufe der 90minütigen Inszenierung vernehmen. Diese fällt für mich gleich einmal richtig aus dem Rahmen! Sie setzt sich aus 42 Teilen zusammen, die sich in vier großen Einheiten bündeln. Selbst diese sind aber keinesfalls durch eine klare Abtrennung wahrnehmbar. Diese Art der Songstruktur wird ausgiebig von Wikipedia in einem Artikel zum Prog Rock beschrieben. Hier findet man klare Aussagen zu Songfragmenten, die rein gar nichts mit der typischen und gewohnten Strophe/Refrain Hitgigantomie zu tun hat. Vielmehr sind es musikalische Soundfetzen, die zu einem großen Ganzen zusammengefügt worden sind.

Niemand muss aber auf melodische Passagen verzichten. Diese sind, neben rockigen, metallischen und irischen Folk Klängen, reichlich in der Inszenierung zu vernehmen, was dem ungeübten Prog Rock Hörer dieses Genre recht schmackhaft machen sollte. Ich habe mir sogar auf meinem Rechner den Spaß erlaubt, die Tracks so umzunummerieren, dass dieses Werk nun in einer kompletten Einheit genossen werden kann.

Irgendwie stellt sich bei mir, durch den Sprung in ein scheinbar längst vergangenes Musikzeitalter, ein Äquivalent zur eigentlichen Geschichte von „The Theory of Everything“ ein. Lucassen beginnt mit seiner Geschichte im hier und heute, um dann nur einige wenige Jahre zurück zu blicken und wieder zum Ausgangspunkt zu finden. Gewollte Brücke oder einfach nur Zufall? Egal! Mehr begeistert mich, dass diese Geschichte Fragen und Gedanken aufwirft, ohne dass sie von Arjen Anthony Lucassen wirklich gestellt oder beantwortet werden. Das spricht für ein gelungenes Gesamtkonzept der Story!

Heuchelei gegenüber der Öffentlichkeit, Förderung des Einzelnen, steigender Leistungsdruck, Rivalitäten, Neiddebatten, Generationskonflikte und noch einiges mehr kann man so in dem Stück ausmachen. Dieses wird in einer Erzählung über einen jungen Wissenschaftler entwickelt, auch wenn sich die Geschichte gerade einmal innerhalb von 11 Jahren abspielt. Durch den ehemaligen Lehrer des heutigen Wissenschaftler werden in seiner Schulzeit mathematische Fähigkeiten festgestellt, die sich durch eine besondere Form des Autismus herausbilden konnte. Das ruft Neider und Wiederspruch von seinem Umfeld auf, zu dem auch sein Vater, ein anerkannter Wissenschaftler, gehört. Um Vater und Sohn wird nun eine Geschichte aufgebaut, die, tiefgründiger betrachtet, sehr viel versteckte gesellschaftliche Beobachtungen enthält.

Sowohl für die Musik, als auch für die eigentliche Geschichte, fordert Lucassen viel Aufmerksamkeit und Innehalten vom Zuhörer. Das unterscheidet sein Album stark von ähnlichen Projekten der heutigen Zeit! Ob ihm damit die Leute die Bude einrennen werden, darf nach objektiver Betrachtung ein wenig bezweifelt werden. Mir haben die letzten Tage und Wochen immens viel gebracht. Ich bin aber auch solchen Projekten gegenüber aufgeschlossen. Für mich reicht hier sogar allein schon die pure Musik, die mir neue Dimensionen in der Betrachtungsweise solcher Projekte geschenkt haben.

Wer bereit ist, sich von den typischen Strukturen eines 3, 5 oder 10 Minuten Tracks wegzubewegen, der wird bei diesem Album in eine Welt eintauchen dürfen, die dem gewöhnlichen Radiohörer nie zugänglich sein wird. Gern gebe ich für diese Meisterleistung 18 von 20 möglichen Punkten! Herzlichen Glühstrumpf Herr Lucassen…