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Eine Schicksalsweiche im Harz

Eine Wanderung zum Waldgasthof „Steinerne Renne“ war vor etlichen Jahrzehnten ein muss für die Wernigeroder Gesellschaft. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich dieser kurze, aber knackige Aufstieg zu einem der meistbesuchten Orte im Harz. Ein Sonntagsspaziergang mit der Familie war damals unerlässlich. Am Ende des ca. 3 000 Meter langen Wanderweges warteten schon im 19. Jahrhundert einige leichte kulinarische Belohnungen. Mittlerweile hat dieser Wanderweg bei den Einheimischen an Anziehungskraft verloren und wird meistens von Touristen genutzt.

Genau das richtige für mich und meine Knipserei, dachte ich! 3.000 Meter durch den Wald, dazu die Kameraausrüstung – das passt für einen 2 Zentner Brocken wie mich gut ins Bild. Vielleicht sollte ich noch anmerken, dass ich für alle Fälle immer so gut wie alles an Fotoequipment mitschleppe. Nicht auszudenken, wenn man gerade dann etwas davon braucht, was man am Tag zuvor aus dem Rucksack geschmissen hatte!

Start und Ziel, das war für mein Vorhaben der Bahnhof „Steinerne Renne“! Ein echter Volltreffer, wie sich hier noch herausstellen sollte. Denn in der Nähe des Bahnhofs liegt eine der engsten Kurven (60m Radius) der gesamten Strecke der Brockenbahn. Fast eine 180 Grad Kehre und das noch bergauf! Sie glauben gar nicht, wie da ein dampf betriebener Zug zu tun hat. Auch wenn mich Bahnbilder nicht wirklich berühren – in dieser Umgebung und unter diesen Umständen war es eine Ehre für mich, die Harzer Schmalspurbahn im Bild festzuhalten.

Waldgasthaus Steinerne Renne

Aber dieses war ja nicht das Hauptanliegen meiner Tour. Das lag und das liegt auch heute noch ca. 250 Meter höher und 3.000 Meter entfernt. Nun gut, dann muss es wohl sein! Die Füße trugen mich leicht und locker Richtung Quarzfelsen „Silberner Mann“ und bis zu einer Weggabelung, die zu einer Schicksalsweiche dieses Tages werden sollte. Bis dahin hatte ich schon die ersten Eindrücke der seicht fließenden Holtemme im Kasten.

Natürlich habe ich, Kraft meiner Wassersuppe, den Weg in Richtung der „Kleinen Renne“ eingeschlagen. Die „Kleine Renne“ ist eine Nebenschlucht der Steinernen Renne und wird von dem gleichnamigen Gebirgsbach durchzogen. Kleine Wasserfälle und serpentinenartige Pfade über Granitgestein kennzeichen diesen mittlerweile doch recht anspruchsvollen Weg. Immer wieder lege ich Pausen ein, um natürlich Bilder zu knipsen. Oder was ging Ihnen gerade beim Lesen der letzten Zeile durch den Kopf?

Dann auf einmal ein Absperrband mit roten und weißen Streifen. Darauf die Aufschrift „Baumfällarbeiten“. Meine Fresse, das glaub ich jetzt nicht! Was soll ich jetzt tun? Nach einiger Zeit entschied ich mich für den Rückweg. Und dieser zog sich! Leck mich doch, wie weit vor meinem eigentlichen Ziel war ich schon gewesen? Hätte ich weiter gehen sollen, wie die beiden Wanderer, die ich auf meinem Weg zurück als einzige getroffen hatte?

Irgendwann hatte das Leiden ein Ende und die Weggabelung, meine Schicksalsweiche, kam in Sichtweite. Damit ging nun auch meine Laune wieder bergauf. Ich also los, um links der Holtemme die „Steinerne Renne“ zu bezwingen. Ich hatte immer noch mein Ziel vor Augen. Den Waldgasthof! Und wieder ging es diese ominösen Höhenmeter hinauf, bei dem sich erfahrene Bergwanderer wahrscheinlich schlapp lachen. Lag es an den zusätzlichen Metern in meinen Knochen oder dem immer stärker werdenden Hungergefühl. Ich fand auch diesen Weg mittlerweile recht anstrengend. Die immer größer werdenden Granitsteine machten den sonst breiten Weg beschwerlich. Die Krönung aber waren die letzten 150 Höhenmeter, die durch riesige Granitblöcke gesäumt waren. Natürlich zierten die nicht im genormten Treppendesign den Weg. Mal musste man die Knie bis zu den Ohren führen, um die nächste Trittstufe zu erreichen, mal stolperte man über ein kleines, kaum wahrnehmbares Stüfchen. Wie eine Bergziege darf man hier nun die letzten Absätze bis zur Brücke am Hotel- und Waldgasthaus „Steinerne Renne“ bezwingen.

Und dann passierte das, was ich schon länger befürchtet hatte! Genau auf dieser Brücke kamen mir zwei sehr ausgeruht wirkende Wanderer mit einem breiten Grinsen entgegen. Ich hatte nicht gefragt, aber trotzdem ließen sie es mich wissen, dass ich nicht all zu weit mehr hätte gehen müssen. Damit war ich um eine Lebenserfahrung reicher! Und nein, ich möchte darüber jetzt nicht weiter philosophieren!

Der Rückweg wurde kurzerhand über die Bielsteinchausee verlegt. Natürlich nur, um auf eine recht entspannte Art und Weise bis zu einer gewissen Weggabelung, die ich mittlerweile zu meiner „Schicksalsweiche des Tages“ umbenannt habe, zu gelangen. Von dort aus ging es ohne viel Mühe zum Ausgangspunkt meiner Wanderung zurück, bei der ich vor über 6 Stunden aufgebrochen war! Aber halt, da war doch noch was! Den Fahrplan der Harzer Schmalspur Bahn auf den Knien, die Kamera griffbereit und das Kreuz des Andreas entspannt an das Andreaskreuz gelehnt. So hockte ich nun da und wartete.

Schon von weitem hörte man nach einiger Zeit das Schnaufen der alten 99 7241 – 5. Dunkler Rauch stieg durch die Bäume auf. Der Boden, auf dem ich immer noch saß, begann zu vibrieren. Die Kamera nun wie ein Scharfschütze in den Anschlag gelegt. Nach etlichen fehlgeschlagenen Versuchen, bei meinen Wanderungen an den vorangegangen Tagen, konnte ich hier das wohl vorzeigbare Foto dieses schwarzen Stahlkoloss machen. Das habe ich mir dann heute auch redlich verdient!

Harzer Schmalspur Bahn

Link: Stempelstelle 28 / Gasthaus Steinerne Renne

(mit weiterführenden Links zu beiden Wanderwegen zum Gasthaus „Steinerne Renne„)